Wie jedes Mal habe ich auch diesmal wieder nach einem Motto oder Thema gesucht. Das SHOBOGENZO des Dogen ist unerschöpflich – so habe ich auch diesmal wieder ein Thema daraus genommen, und zwar das erste in dieser Sammlung, und habe die Kalligraphie dazu gemacht. Gelesen wird es BENDOWA, was meistens übersetzt wird mit „Gespräch über das Streben nach der Wahrheit“.
Karl Obermayer Karwochen-Sesshin 2011
Das erste Zeichen, „Ben“, wird von den Interpreten des Dogen mit „Streben“ übersetzt. Im heutigen Wörterbuch habe ich das nicht in dieser Bedeutung gefunden, das Zeichen wird dort mit „Sprache“ oder „Unterscheidung“ übersetzt, es kann verschiedene Bedeutungen haben. Aber hier wird es eben mit „Streben“ übersetzt.
Das zweite Zeichen – immer von oben nach unten gesehen – „Do“, das kennen wir, das ist uns als „Weg“ bekannt. Aber es wird hier auch als „Wahrheit“ interpretiert. Und „Wa“ ist auch ein Ausdruck für „Gespräch“.
Es geht in diesem Kapitel um die Praxis des Zazen. Interessanterweise ist dieses erste Kapitel, das Dogen 1231 geschrieben hat, lange Zeit verschollen gewesen. Ich habe gelesen, es wurde erst im 17. Jahrhundert entdeckt. In früheren Ausgaben des SHOBOGENZO war es nicht vorhanden. Nach seiner Entdeckung wurde es an die erste Stelle von den über 90 Kapiteln des SHOBOGENZO gestellt, wo es auch hingehört.
Außerdem verwendet Dogen sehr häufig, wenn er von Zazen spricht, diesen Begriff „Bendo“, das Streben nach Wahrheit. Es ist also fast ein Synonym für Zazen. So wird der Schwerpunkt dieses Sesshins vom Motto her dort sein, wo auch der Schwerpunkt unserer Tagesordnung liegt, nämlich beim Sitzen.
Und ich glaube, es ist gut, immer wieder zu den Wurzeln zurückzukehren und das Wesentliche wieder neu zu betonen und hervorzuheben. Ich lese dazu ein paar Sätze aus dem Kommentar des Meister Seggelke vor, der zu allen Kapiteln des SHOBOBENZO einen Kommentar verfasst hat:
Das erste Kapitel, BENDOWA, beinhaltet ein Gespräch über das Streben nach der Wahrheit und eben vor allem über die Praxis des Zazen, die ganz wesentlich für den Weg des Buddha-Dharma zur Befreiung von geistigen und körperlichen Verkrampfungen und zum Erwachen ist. Dieses Kapitel steht am Anfang des vierbändigen Werkes SHOBOGENZO, das aus 95 Kapiteln besteht.
Die Praxis des Zazen ist nach Dogen das Tor des Friedens und der Freude zum Dharma und löst Hindernisse und Blockaden des Denkens und Fühlens auf. Körper und Geist sind in unserem normalen, ungeschulten Bewusstsein eng mit der Vorstellung und Fixierung auf ein Ich verbunden, das sich bedroht fühlt, das auf sich selbst konzentriert ist und meist irgendetwas haben oder abwehren will. Der Lehre Gautama Buddhas zufolge liegen darin viele Ursachen für das Leiden des Geistes oder, wie wir heute sagen würden, der Psyche und des Körpers.
Taisen Deshimura sagt zum Zazen: „Zazen-Praxis ist der Prozess des mit sich selbst Vertrautwerdens.“ Man schaut nicht außerhalb seiner selbst. Beim Zazen ist es notwendig, dass Sie sich auf Ihre Haltung konzentrieren, Sie müssen jedoch den Körper vergessen. Der Zen-Buddhismus lehrt uns in Theorie und Praxis, wie wir zur Wirklichkeit und Wahrheit selbst gelangen und damit ein freies, friedliches Leben voller Klarheit und Freude führen können. Dabei ist die Zazen-Praxis oder, wie es im Indischen heißt, das Samadhi der Kern der Übung. Beim Zazen werden Gedanken, Bilder, Emotionen zum Verschwinden gebracht, so dass der gewöhnliche Alltagsgeist überschritten wird und wir den wahren Körper-und-Geist vor allem von quälenden und einengenden Vorstellungen befreien.
Körper-und-Geist ist mit Bindestrichen geschrieben, um deutlich zu machen, dass es sich um keinen Dualismus handelt, sondern dass das eine Einheit bildet. Und auch die Formulierung von Deshimaru gefällt mir recht gut, wo er Zazen als eine Praxis des mit sich selbst Vertrautwerdens bezeichnet. Das ist ja die Hauptaufgabe oder das Hauptanliegen des Sesshin. Jeder für sich selbst, bei sich sein, mit sich beisammen sein, in sich wohnen, aber doch alle gemeinsam – diese beiden Aspekte gehören zu einem Sesshin dazu. Man ist für sich, aber nicht allein, man ist mit allen zusammen, und das soll uns motivieren und bestärken auf diesem Weg, wenn wir in den nächsten Tagen noch genauer oder intensiver auf diese Dinge eingehen werden. Jedenfalls steht das Zazen im Mittelpunkt nicht nur unserer Praxis, sondern diesmal auch der Überlegungen.
Zum Abschluss möchte ich noch ein Haiku von Basho lesen, das nicht so sehr auf das Zazen, sondern auf den herrlichen Frühling Bezug nimmt – wir haben ja heuer eigentlich fast den spätestmöglichen Ostertermin, und dadurch ist auch unser Sesshin erst so spät, weil Ostern sich nach dem Frühlingsvollmond richtet. Der letzte Vollmond war ein paar Tage vor dem 21. März, also vor Frühlingsbeginn, daher ist erst jetzt Ostern. Und da habe ich in einem sehr alten Büchlein mit Haiku eines gefunden, das ganz gut für heute und jetzt passt, von Basho:
Nun ist die Frühlingslandschaft fertig
Wolkenverschleierter Mond
Weißschimmernde Kirschblüten