2. Teisho – Zazen im Zentrum (Karl Obermayer)

Wie wir gestern gehört haben, haben wir diesmal ein Leitthema: Das erste Kapitel aus dem SHOBOGENZO des Meisters Dogen, BENDOWA. Übersetzt wird es mit „Gespräch über das Streben nach Wahrheit“, wobei eben das Zeichen für Weg hier auch für Wahrheit genommen wird. Und das ganze Kapitel hat das Zazen als Übungspraxis im Mittelpunkt der Betrachtung, und das passt insofern gut, weil wir gerade am ersten Tag des Sesshin in gewohnter Weise über unsere Übungspraxis nachdenken und vielleicht auch kleine Korrekturen vornehmen


.Karl Obermayer Karwochen-Sesshin 2011

Was ich so gesehen habe beim Herumgehen mit dem Kyosaku, haben eigentlich alle auch eine Form des Sitzens gefunden, wo die Prinzipien des Zazen von der Körperhaltung her verwirklicht werden können. Das ist einerseits die aufrechte Haltung, wobei man vielleicht noch ein bisschen darauf achten sollte, dass man den Kopf nicht hängen lässt. Im Lauf der Zeit passiert das manchmal. Da fällt mir immer Pater Lassalle ein, der gesagt hat: „Der Kopf ist immer schwer, auch wenn nichts drin ist.“

Und diese beiden Aspekte sind wichtig: Die aufrechte Haltung und die Stabilität des Sitzens, dass man ich sich ruhen kann. Und da gibt es verschiedene Hilfsmittel und Möglichkeiten, wo man herausfinden muss, was einem gerade am besten liegt.

Zur Handhaltung sage ich immer wieder, dass die beim Zazen richtige Handhaltung so ist, dass die Hände in der Mitte zusammenkommen. Dadurch wird die Körpermitte, das Hara, betont. Und dieses Mudra, diese Öffnung, wenn die Hände zusammengelegt werden, hat gleichfalls eine Bedeutung. Es ist einerseits das Konzentrieren auf die Körpermitte und andererseits die Öffnung, sozusagen hin zum Kosmos, in der Nabelgegend. Da kann man natürlich darüber philosophieren.

Manche haben vielleicht durch Yoga-Übungen eine andere Handhaltung erlernt, die sie gewohnt sind. Ich weise immer wieder darauf hin, dass man versuchen soll, diese Haltung, wie sie im Zen eigentlich gedacht ist, zu übernehmen. Aber ich korrigiere das in letzter Zeit nicht mehr, wenn jemand das so gewohnt ist, dann könnte es sein, dass es sonst zu viel Störung bedeutet, das jetzt zu ändern. Aber gut – Sie sollen wissen, wie es eigentlich beim Zazen gedacht ist.

Und wir haben bei jedem Sesshin am ersten Tag den einen oder anderen Aspekt unserer Praxis mehr beleuchtet. Diesmal ist es das Generalthema und da möchte ich heute einiges zu diesem Thema von Kodo Sawaki vorlesen, einem der bekanntesten, bedeutendsten Zen-Meister des vergangenen Jahrhunderts, der mit seinen Formulierungen oft sehr provokativ und kritisch ist.

Das ist ein Büchlein mit dem Titel „Zen ist die größte Lüge aller Zeiten“. Trotzdem ist es lesenswert, und ich denke, dass keiner deshalb vom Zen abgehalten wird.

Er geht also kritisch um mit Auffassungen, Tendenzen und Gewohnheiten, die sich eingebürgert haben, wie es immer wieder vorkommt. Das ist in allen Kulturen und Religionen so, dass manches sich an Gewohnheiten einbürgert, und dass das Wesentliche dann oft in den Hintergrund gedrängt wird.

Vor zwei Wochen habe ich jeden Tag im Radio die Morgengedanken von Cornelius Hell zum 100. Geburtstag des französischen Essayisten Cioran gehört, der ein sehr kritischer Denker war. Einer seiner wesentlichen Aussprüche lautet: „Ich bin ein Mystiker und glaube an nichts“.

Ich habe mir das ausgedruckt, damit ich vielleicht, wenn es gerade passt, irgendwann ein paar Sätze daraus lesen kann. Da heißt es unter anderem, dass er sich von dem „Religionsbetrieb“ abgewandt, aber sehr intensiv die Mystiker gelesen habe.

Nun, dieser Kodo Sawaki schreibt in einem Kapitel ziemlich ausführlich und ganz zutreffend, finde ich, zum Zazen. Die Überschrift des Kapitels heißt: „Zazen bedeutet, Buddha zu spielen“.

Wahrscheinlich meint er auch, dass da immer wieder Leute manches falsch machen. Da will ich einige Sätze daraus vorlesen. Als erstes behandelt er die Frage, die immer wieder für Menschen bedeutsam ist: Welchen Nutzen hat man davon? Er schreibt:

Bringt es mir was oder bringt es mir doch nichts? Lass ab von dieser Geisteshaltung und sitz einfach! „Aus tiefem Samadhi heraus die Buddhas in allen 10 Richtungen betrachten“. (Das ist ein Satz aus dem Lotus-Sutra). Hierbei geht es nicht nur um die Tiefe des Samadhi. Es geht auch darum, dieses Samadhi in die Praxis umzusetzen. Es geht aber auch nicht bloß um Praxis. Es geht auch um die Tiefe des Samadhi, aus dem diese Praxis kommt. Deshalb ist es nicht genug, sich einfach nur auf das Grundprinzip der Lehrer zu stützen. Wir müssen aufhören, uns an unser Ego zu klammern und uns in reines Samadhi versenken. Einfach in Zazen sitzen. Das bedeutet Tiefe, doch wenn wir uns dabei nur in Pose werfen, um irgendetwas zu erreichen, dann ist das kein tiefes Samadhi, sondern bloß äußere Form ohne Inhalt. Wir dürfen nichts hinterherlaufen und auch vor nichts zurückschrecken. Meister Eckhart sagt, dass der wahre Gott dort ist, wo selbst kein Gott mehr ist. Was tun wir, wenn wir Zazen üben? Überhaupt nichts. Wenn wir während Zazen irgendeiner Nebenbeschäftigung nachgehen, machen wir Zazen zu etwas sehr Kleinem. Nur wenn wir überhaupt nichts tun, füllen wir damit das ganze Universum aus. Das ganze Universum auszufüllen bedeutet umgekehrt, auf diese Weise überhaupt nichts zu tun.

Für mich war interessant, dass er hier Meister Eckhart zitiert. Wir wissen ja, dass sich gerade die Kyoto-Schule der Philosophen in Japan sehr mit den deutschen Mystikern, besonders mit Meister Eckhart, befasst hat. Und offensichtlich war es auch diesem Kodo Sawaki bekannt, was Meister Eckhart sagt.

Etwas später in diesem Kapitel über das Zazen:

Einsame Stille herrscht nur dort, wo du gemäß der Lehre einfach Zazen übst, ohne die kleinste Abweichung. Da gibt es dann nicht die geringste Erwartung von irgendetwas, keine spirituellen Überraschungen. Von Anfang an spielt es überhaupt keine Rolle, ob das etwas bring oder nicht. Nichts könnte einfacher sein als das, aber gleichzeitig gibt es auch nichts, das dich in größere Unruhe versetzten würde. Ständig fragst du dich, ob mit deinem Zazen auch alles stimmt. Selbst die Schüler Dogen Zenjis schienen Schwierigkeiten zu haben, dieses ganz reine Zazen, von dem wir gar nichts zurückbekommen, zu verstehen. Du übst Zazen, und das ist alles. Jede einzelne Handlung ist als diese eine Handlung genau diese eine Handlung. Und das ist alles. Shikantaza (übersetzt: Nur sitzen, nichts als Sitzen) bedeutet, mit einem Eimer ohne Boden Wasser aus dem Brunnen schöpfen (auch eine Formulierung, die man sich für das Zazen merken kann).

Deine Praxis des Shikantaza darf nicht oberflächlich sein. Du musst bis ans Ende gehen, alles ausschöpfen. Einfach sitzen, bedeutet nicht, einfach nur so herumzusitzen. Dein ganzes Leben muss davon abhängen, dass die Richtung deiner Praxis stimmt. Dein Zazen darf keine halbe Sache sein, kein Mittel zum Zweck. Zazen muss deine Welt sein. Wenn du den Weg bis ganz ans Ende gehst, kehrst du heim an diesen Ort, hier und jetzt, ganz du selbst. Zazen ist einfach nur Zazen. Zazen selbst ist das Ziel, das andere Ufer, Nirwana, der höchste Wert. Es geht nicht darum, zum Buddha zu werden.

Soweit die Gedanken von Kodo Sawaki zum Zazen. Und wir sind ja noch am Anfang dieses Sesshin und haben Gelegenheit genug, die wir auch nützen wollen, ganz bei uns selbst zu sein und uns immer tiefer in diese Übung einzulassen, ohne etwas zu erwarten, ohne etwas zu wollen, einfach nur sitzen. So einfach das klingt, wir wissen, dass es doch auch ein mühsamer Weg ist.