Asiens Christologie wird eine Mahayana Christologie sein. (Pater Ama Samy)

Geschrieben fuer ein Jesuiten-­‐Treffen, Januar 2012)Vor 50 Jahren formulierte Karl Rahner, dass die Kirche sich nur dann zu einer universalen Kirche entwickeln könne, wenn sie sich der Kultur und Philosophie Asiens öffnet. Die Idee, der Impuls und die Inspiration dazu lierferte das II. Vatikanische Konzil. Die römische Amtskirche hat die Reformen des Konzils inzwischen zurükgenommen und ist zurückgefallen in eine „business-­as‐usual“ Mentalität. Ich habe den Eindruck, dass sich weder in nächster Zeit noch in weiterer Zukunft etwas daran ändern wird, auch wenn die Wege des Heiligen Geistes unvorhersehbar sind und „der Wind weht, wo er will“

Vor 50 Jahren formulierte Karl Rahner, dass die Kirche sich nur dann zu einer universalen Kirche entwickeln könne, wenn sie sich der Kultur und Philosophie Asiens öffnet. Die Idee, der Impuls und die Inspiration dazu lierferte das II. Vatikanische Konzil. Die römische Amtskirche hat die Reformen des Konzils inzwischen zurükgenommen und ist zurückgefallen in eine „business-­as‐usual“ Mentalität. Ich habe den Eindruck, dass sich weder in nächster Zeit noch in weiterer Zukunft etwas daran ändern wird, auch wenn die Wege des Heiligen Geistes unvorhersehbar sind und „der Wind weht, wo er will“.

Legen wir die Probleme und die Politik der Amtskirche zur Seite und wenden uns dem Kernproblem indischer und asiatischer Theologie zu. Das Kernproblem besteht darin, dass sie keine eigene lebensfähige, inspirierte und kreative Christologie hervorgebracht hat. Was Indien betrifft, so blühte eine Ashram-­‐ Bewegung auf, indische Motive und Rituale wurden in die Liturgie integriert, Christus wurde auf indische Weise als sitzender Guru dargestellt und weiteres mehr. Im Bereich Gerechtigkeit und Option für die Armen wurde zwar viel Gutes getan, jedoch mangelte es an „satya“ (Wahrheit) und an „ahimsa“ (Gewaltlosigkeit). Was jedoch wirklich gebraucht wird, ist eine kreative asiatische Christologie und ein Leben in der Nachfolge, die durch eine solche Vision inspiriert ist.

Einige Theologen versuchten, eine indische Christologie zu formulieren. Christus wurde zum Beispiel als Avatar, als Advaitin, als Yogi, sogar als Tänzer dargestellt. Diese Versuche wirken jedoch wie äusserliche Ausschmückungen. Zwar kann diese Fülle typologischer Darstellungen eine Inspiration sein, jedoch dienen sie auch der Ablenkung und Zersteuung und rufen die Illusion hervor, damit die eigentliche Bedeutung zu erfassen. Diese Theologen setzen voraus, dass die christologische Formel von Chalcedon (damit ist gemeint, das in Jesus Christus die menschliche und göttliche Natur „unvermischt und ungetrennt“ gegenwärtig ist; d.Ue.) den theologischen Bedeutungsrahmen abgibt, der nicht verändert und weiterentwickelt werden kann . Für eine asiatische Vision ist das aber eine Sackgasse. Die chalcedonensiche Formel entwickelte sich aus einer westlichen Philosophie, sie entsprach der Zeit und den Umständen damals, ist jedoch unpassend für das heutige Asien.

Äusserst bedeutsam für ein heutiges asiatischer Verständnis von Christus und Gott ist eine Mahayana-Vision. John P. Keenan hat jahrelang solch eine christologische Vision formuliert und ich möchte gern einige Worte darüber verlieren. Keenan wird zwar kritisiert, er selbst aber beansprucht keine letzt gültige Aussage. Seine Vision und seine Formulierungen sind sehr inspirierend, lebendig und kreativ für eine asiatische Christologie. Keenan nimmt drei Mahayana -Themen auf, die er für besonders bedeutsam für eine Mahayana Christologie hält: Leerheit, wechselseitige Abhängigkeit, und die zwei Wahrheiten. Ich werde nicht in die Details gehen, möchte jedoch einige Punkte herausgreifen.

Leerheit: Die Selbst-Natur von Christus ist leer, das heisst, er ist die Tür und der Weg zu Gott als Vater und zu uns Menschen; er hat keine essentielle, substantielle, objektivierte individuelle Natur als Selbstbesitz. Seine Natur ist wesenhaft die eines Verweises, eines Fingerzeigs zum Vater und Ruf für uns Menschen in Mitgefühl und Barmherzigkeit miteinander zu leben. Seine Natur ist Nicht-Natur, sie beschreibt eine relationale Dimension als Sein-zum-Vater und als Sein-für-uns. In der Mahayana Vision gibt es kein unabhängiges, objektiviertes, substantielles, selbst-identisches Selbst oder Ding. Jede Person und jedes Ding ist eine Offenheit in Bezogenheit auf andere hin. Das ist es, was Leerheit meint: leer an unabhängigem Selbstsein (Keenan setzt die Mahayana-Leerheit mit wechselseitiger Bezogenheit gleich. Das ist die These von Nagarjuna. Diese These ist jedoch einseitig und unvollständig. Ich möchte es im Moment jedoch dabei bewenden lassen).

Die wechselseitige Abhängigkeit oder das zusammen Entstehen von allem und jeder Person: Christus ist wie jedes Seiende verflochten mit Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Natur und Welt; genauso wie mit Göttern und Gott. Daher nimmt Christus sowohl an der Geschichte seiner Zeitgenossen, der Gesellchaft, Kultur, Natur teil als auch am menschlichen Leiden, der Freude, Liebe, den Gebrechen und der Sterblichkeit. Er ist Mensch zusammen mit uns Menschen.

Die zwei Wahrheiten.Damit gemeint sind die absolute Wahrheit  (paramartha satya) und die weltliche oder konventionelle Wahrheit (samvriti satya). Die absolute Wahrheit ist unaussprechlich, unbeschreibbar und bildlos. Das Schweigen ist ihre Sprache. Die konventionelle Wahrheit verweist asymptotisch auf sie. Ein Satz aus dem Diamant-Sutra veranschaulicht diese Realisierung, die dem Zen-Geist entspricht: „Die Welt ist nicht die Welt, daher ist die Welt die Welt“.

Keenan schreibt: „Der letzte Sinngehalt verbleibt im Schweigen und ist immer von menschlichen sprachlichen Konstruktionen unterschieden…Das Postulieren einer identifizierbaren Wahrheit als letzte Wahrheit ist selbstzerstörerisch und stürzt sich selbst von seiner erhabenen Position, denn es gibt keinen konventionellen perfekten Zustand, der gleichzeitig einer letzten bedeutungsvollen Selbstheit entspricht. Nichtsdestoweniger gilt, dass eine letzte Wahrheit keine einfache Negation von konventioneller Wahrheit ist , genausowenig wie Leerheit eine einfache Negation von wechselseitig abhängigem Entstehen ist. Eher gilt, insofern jemand eine schweigende Einsicht in einen letzten Sinngehalt gewonnen hat, dass sich dieser jemand wieder weltlichen Belangen zuwendet und Selbstsein wiederherstellt, nun nicht als eine absolutes, sondern als ganz einfach weltliches und konventionelles Sein“. (p.138-­‐9, The Meaning of Christ).

An anderer Stelle schreibt Keenan: „, Das Sein Jesu ist aus der Mahayana Perspektive nicht dadurch bestimmt, dass eine göttliche Wesenheit in seine menschliche Natur strömt…Jesus verkörpert die göttliche Dimension dadurch, dass er wahrhaftig und vollständig Mensch ist, nicht durch seine Teilhabe an einem göttlichen Wesen…Aufgrund der Preisgabe seiner Wesenheit und Selbstdefinition, spiegelt Christus die unmittelbare „Abba“-Erfahrung wieder und rufft andere dazu auf, an einem „ Reich Gottes“ mitzuarbeiten, das sich dem Mitgefühl und der Barmherzigkeit verplichtet weiss. Aufgrund seiner Identität, die als wechseitig abhängiges Entstehen beschrieben werden kann , kann er „Abba“ erfahren und Gerechtigkeit verkörpern. Nur als „nur weltliche Konvention“ teilt Christus die göttliche Andersheit Gottes. Das heisst, nicht durch Festhalten an einem erhabenen göttlichen Sein, sondern durch das Leerwerden seiner selbst spiegelt er das Göttliche wieder und ist eins mit dem schweigenden Vater. Und wie bei Christus selbst, so ist der christliche Theologe schlecht beraten, an einer essentialistischen Auffassung von Gott festzuhalten, in dem Versuch, menschliche und göttliche Eigenschaften in der einen Person Christus zusammenzuführen“.
( Anglican Theological Rewiew, Vol. 75, Nr. 1, 1993)

Christus ist leer, insofern hat er keine Selbstheit als objektivierten Terminus ad quem. Er ist der Fingerzeig zu dem unbeschreibbaren und unaussprechlichen Vater und er zeigt, wie Menschen in Mitgefühl und Gerechtigkeit ihren Weg gehen können. Er ist Mensch wie wir, ausser in der Sünd, und in seiner Menschlichkeit ist er sowohl die Tür zum Vater als auch unser Weg. Jedoch ist dies immer noch konzeptuell ausgedrückt und daher nicht genug. Keenan scheint nicht über diese andere Dimension zu sprechen, obgleich er vielleicht darauf hinzuweisen vermag. Wir brauchen eine Praxis, um diese Leben spendende Vision und Wirklichkeit zu realisieren. Die Zen-Koan Praxis ist solch ein Weg der Realisierung. Für Christen, die Zen üben, bedeutet dies, zwischen Christentum und Zen zu stehen. Dieses Dazwischen ist ein dynamisches Feld von Paradoxien, Gegensätzlichkeiten und Spannungen. Zen allein besitzt schon genügend Paradoxien und Polaritäten. Durch dieses zweifache Feld von Paradoxien, Ambiguitäten und Spannungen wird der Zen übende Christ unvermeidlich zu einem authentischen Leben in Erleuchtung und Befreiung geführt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die christliche Liturgie zu sprechen kommen, denn in der liturgischen Feier, besonders der Eucharistiefeier, kommen wir mit Christus in Berührung. Rosemary Haughton hat die Eucharistiefeier wunderschön als einen „Vollzug an der Grenze“ (liminal performance) bezeichnet. Dadurch ist sie lebensspendend und kreativ. Einige Jahre zuvor habe ich ihre Thesen zusammengefasst. Hiervon nun ein Auszug:

„Die Menschen versammeln sich um den eucharistischen Tisch, sprechen und hören von Ereignissen, die lange zurückliegen, jedoch ereignen sie sich im Hier und Jetzt. Sie erinnern sich des Todes Jesu, jedoch lebt er in Ewigkeit. Sie sprechen von Eschatologie, vom Ende der Welt und der Zeit danach, doch das Ende ist Jetzt und die Zeit ist vergangen. Sie hoffen auf die Auferstehung, aber es geht um das Entstehen eines Selbst und Teil dieses Selbst sind Tod und Gebrochenheit. Sie streben danach, Ebenbild Gottes zu werden, doch Gottesebenbildlichkeit bedeutet, die menschlichen Bedingungen zu teilen. Sie essen Brot und trinken Wein, aber es ist nicht wirklich Brot und Wein: es ist der Leib Christi und es ist das Blut Christi und es ist Christus selbst, das Universum ist der Leib Christi, so wie Brot und Wein der Leib Christi sind. Ihr seid Sünder und gleichzeitig der Leib Christi. Ihr betet zu Gott und gleichzeitig seid ihr füreinander Christus. Ihr betet, gere`et zu werden, aber ihr seid bereits „auferstanden mit Christus und habt einen Ort gefunden im Himmel in Christus Jesus (Vgl. Eph 2,6; The Way S. 160).

Die eucharistische Situation und Struktur ist durchzogen mit Ambiguitäten, Paradoxien, Ungewissheiten und Spannungen. Wenn Du in die eucharistische Situation eintriffst, dann befindest du dich in einer „Wildnis“. Du fällst in die Leerheit des Dazwischens. Wer bist du dann in diesem rituellen Feld? Wo stehst du? Wenn Unvereinbarkeiten nebeneinanderstehen, dann müssen Geist und Herz einen Sprung wagen. Dann kann Glaube entstehen und Umkehr vollzogen werden. Ich möchte hier weiter Haughton zitieren:

„Die Ambiguität erscheint nicht immer in derselben konzeptuellen Form, das ist wahr. Sie hat keine feste Form; selbst die Pole des Zwischenraumes, welche beanspruchen, mit den eigenen Möglichkeiten gefüllt zu werden, sind im Moment der Umkehr unklar. Das ist im Moment jedoch nicht von Bedeutung. Das Sakrament ist nur dann ein Mittel, um mit Gnade in Berührung zu kommen, wenn die Spannung zwischen den Unvereinbarkeiten ausgehalten wird, nicht wenn versucht wird, sie zu versöhnen. Das Sakrament steht nicht zwischen dem Glaubenden und Christus oder bringt Christus zum Glaubenden, sondern zwingt ihn zu einer Entscheidung: Christus zu wählen oder abzulehnen. Und im Moment der Wahl hat der Name, wodurch wir beschreiben, was wir wählen – das ist hier Christus – keinen Inhalt.

Der Sprung in diese Leerheit meint in Wirklichkeit eine Begegnung dergestalt, dass der Konflikt, das Dilemma einer unversöhnlichen Andersheit verschwindet und eine Begegnung stattfindet, die mehr einer Vereinigung gleicht. Ich spreche hier nicht über Emotionen, sondern über eine bestimmte Form von Ereignis, denn im Akt des Glaubens gibt es keine Identifikation mit dem Glaubensinhalt, so dass er oder sie im Glaubensakt zu diesem Zeitpunkt überhaupt nichts glaubt. Er oder sie ist ganz einfach darin. Worin der Glaubende ist, diesem „Etwas“ (thing) geben wir den Namen Christus, denn Christus ist die Selbstwahrnehmung der kultischen Gemeinschafft, woraufhin die Umkehr sich vollzieht. Er ist das symbolische Zentrum, zunächst als getrenntes Symbol, auf das sich Menschen bewusst beziehen können. Das ist die formgebende Funktion der Christus-Idee und das schliesst ein, dass wir wenig über den historischen Menschen Jesus von Nazareth wissen. Aber er ist ebenso das symbolische Zentrum, weil er die Selbstwahrnehmung und Identität der Gemeinde ist“. (The TransformaHon of Man, S. 276-­‐7)

Keenan hat uns einen wunderbaren christologischen Rahmen gegeben. Die Mahayana Vision und Idee kann dem Glauben (faith) der asiatischen Christologie in einzigartiger Weise dienen. Keine andere Philosophie oder Weltsicht kann dies leisten. Es ist die Vision, in der Christus die Tür und der Weg ist und kein Objekt des Glaubens, das uns im Weg steht und unsere ganze Aufmerksamkeit und Verehrung beansprucht. Das ist die Funktion eines Idols. Der priviligierte Ort, diese Vision zu realisieren sind die Eucharistiefeier und ich möchte hinzufügen, eine spirituelle Praxis des Dialogs, so wie im Zen.