Claude Durix · Wien 1998
In seinen Anfängen, während 3 Milliarden Jahren, ist das Leben auf unserer Erde noch sehr schüchtern, weil es noch wenig Sauerstoff in der ursprünglichen Atmosphäre gibt. Dann, in den letzten 500 Millionen Jahren, wird es besser, geht alles viel schneller. Das, was die Forscher als “präbiotische Synthesen“ bezeichnen, findet seinen Anfang. Das Leben organisiert sich. Nach und nach gleicht sich die Atmosphäre der heutigen an. Es finden weitere Synthesen statt, Aminosäuren, Kohlenhydrate, Lipide bilden sich und fügen sich zusammen. Dann entstehen Ur-Bakterien, dann primitive Zellen, die sich teilen und sich vermehren werden. Unser Leben ist da, wir sind da, potentiell, auf der Erde!
Aber woher kommt dieses Leben? Etwa 500 Jahre vor unserer Ära wird Anaxagoras, ein sehr moderner Philosoph, der modernste des Altertums, in Klazomenes in Griechenland geboren. Er wird der Meister von Perikles, vielleicht auch von Sokrates sein. Er stellt sich Fragen über den Ursprung des Lebens. Er glaubt, dass die Lebewesen aus Schlamm entstanden sind, die mit Keimen aus dem Äther, so nennt er das Universum, besäet wurden. Diese Idee von der Leere des Universums als Quelle jeden Lebens und als Befruchterin der Erde zieht sich bis in unsere Zeit hinein, mit unterschiedlicher Akzeptanz, mit Anpassungen, Widersprüchen, Verurteilungen, Ablehnungen und Bestätigungen. Dieser Befruchtung hatte man schon vor 2500 Jahren den Namen Panspermie gegeben. Sie wäre von interastralen Verbindungen, von Kometen, von Meteoriten, gewissermaßen von Außerirdischen, betrieben worden. Noch modernere und genau so seriöse Wissenschaftler wie Anaxagoras haben vor kurzem gesagt und geschrieben, dass diese Mikroorganismen, die am Anfang des Lebens auf der Erde stehen, uns von fernen Planeten von Space Shuttles gebracht worden sein könnten. Beeilen wir uns nicht zu schmunzeln, wenn uns das komisch vorkommt: diese Theorie wird heute vom Entdecker der doppelten Helix der DNS, Francis Crick, vertreten, der dafür den Nobelpreis bekam. Aber die Identität des ersten Wesens, das diesen ersten befruchtenden Keim ausgesetzt hat, dem anfänglichen Vater allen Lebens, dem Progenot, bleibt ein Geheimnis.
Dennoch, wie man die radioaktiven Spuren auf dem Mond gemessen hat, konnte festgestellt werden, dass vor 4 Milliarden Jahren eine ungeheure kosmische Katastrophe Mond und Erde getroffen hat. Brachte sie gleichzeitig die ersten Lebewesen? Jene, die etwas später wir sein würden? Noch sehr rudimentäre Wesen, nur Nukleinsäuren, die sich vermehren, verändern, mannigfaltiger und sich anpassen würden, bis zu uns. Steine, Pflanzen, Tiere, wir hätten also einen gemeinsamen Ursprung und vieles gemeinsam. Um unsere Einheit mit dem Universum darzulegen sagte ein Zen-Meister, dass wir mit den Steinen die Existenz gemeinsam hätten, mit den Pflanzen die Existenz und das Wachstum, mit den Tieren die Existenz, das Wachstum und die Beweglichkeit, mit den anderen Menschen, die Existenz, das Wachstum, die Beweglichkeit und den Sinn für das Metaphysische, das heißt dieses Suchen in uns nach unseren Ursprüngen und unserem Werden, in unserem Leben und in unserem Tod.
Das Sein ist ein großes Geheimnis. Wir sind ständig dazu verurteilt, uns darüber Fragen zu stellen. Wir haben oft große Schwierigkeiten, das Geheimnis des Lebens, das Geheimnis des Seins, das untrennbar mit dem Geheimnis der Zeit verbunden ist, zu akzeptieren.
Vor 15 Milliarden Jahren, Geburt des Universums. Vor 5 Milliarden Jahren, Geburt unserer Galaxie. Vor 4 Milliarden Jahren entsteht das Leben. Vor 500 Millionen Jahren entwickelt es sich ernsthaft. Vor 4 Millionen Jahren erscheinen die ersten Hominiden. Lucy, die kleine Australopithekerin, unsere kleine Großmutter, ist vor 3 Millionen Jahren geboren. Die ersten Homo sapiens besiedelten den Planeten vor 200.000 Jahren. Karl ist vor 60 Jahren und ich selbst bin vor 78 Jahren vor einigen Tagen auf die Welt gekommen!
Wir stehen also alle in enger Beziehung zur Zeit! Das Sein ist mit der Zeit verbunden. So wie wir wird das Licht mit der Zeit gemessen, mit der es sich fortpflanzt. Wir drücken die Entfernungen, die uns von anderen Welten trennen, in Lichtjahren aus. “Alles Seiende ist von der Zeit“, sagte Dôgen im XIII. Jahrhundert. Wir kommen noch darauf zurück.