Claude Durix · Wien 1996
Dogen, der das Zen in Japan im XIII. Jahrhundert einführte und entwickelte, sagte: „Ihr müßt die Kehrtwendung erlernen, die Euer Licht nach innen richten wird, um Eure wahre Natur zu erleuchten…“. Um welches Licht geht es ? Jenes, das Meister Eckhart, ungefähr zur gleichen Zeit wie Dogen als „Fünkelein der Seele“, als „kleines Licht, kleinen Funken der Seele“ bezeichnete. Es ist kein mächtiger Scheinwerfer, sowie jene, die die Unternehmungen der Medien im Übermaß aufleuchten lassen. Es ist ein kleines Licht, bescheiden, fast unsichtbar, wenn man nicht ganz aufmerksam ist, das die Japaner „kokoro no tomoshibi“ bezeichnen, was genau den Sinn der Redewendung Meister Eckharts oder Dogens wiedergibt. Wir haben es alle in uns, aber es ist nicht immer sichtbar. Es erscheint uns nur unter ganz besonderen Umständen, wenn wir bereit sind, einen Augenblick unsere gewöhnlichen Beschäftigungen zu unterbrechen, wenn wir bereit sind, uns von den äußeren Geschäftigkeiten nicht erfassen zu lassen, wenn wir uns entschlossen haben, in uns zurückzukehren, um herauszufinden, wirklich zu erfahren, wer wir sind. Man muß den Mut haben, für eine Zeit die Welt des Habens zu verlassen, um endlich in die Welt des Seins einzutauchen, die wir nie verlassen sollten. Ja, es ist wahr, daß Mut dazugehört, um all diese Bilder aus den Medien, die uns überschwemmen, beiseite zu lassen. Die Menschen unserer Zeit können auf diese Bilder nicht mehr verzichten. Das geringste Versagen der Empfangsgeräte wird von ihnen als großes Leiden erlebt.
Ingen-Zenji, ein anderer Zenmeister, der im XVII. Jahrhundert der Vorgänger meines eigenen Meisters war, der gleiche, der mir diesen Nyoibo übertragen hat, sowie es vor ihm seine Meister getan hatten, und den ich heute wiederum übertragen habe, hat gesagt: „Man muß den Mut haben, in die gefährlichen Wellen, die die Menschen in Schrecken versetzen, einzutauchen, um den außergewöhnlichen Fisch zu finden.“ Wie das sehr feine Licht dieser phosphoreszierenden Fische der Südmeere verlangt uns unser inneres Licht eine besondere Anstrengung ab, um sich zu offenbaren. Und diesen Mut kann niemand an unserer Stelle haben: Wir müssen das Eintauchen lernen, wir müssen lernen, selbst die vollständige Kehrtwendung zu verwirklichen, die vollkommene Richtungsänderung, das Eintauchen in die Tiefen. „Ihr müßt die Praxis, die auf einem intellektuellem, buchstäblichen und wortgetreuen Verständnis beruht, aufgeben“, sagt Dogen weiters.
Wenn die Kehrtwendung vollzogen ist, wenn unser Licht nach innen gerichtet ist, schließt Dogen, dann „treten Körper und Geist von selbst in den Hintergrund, und Euer ursprüngliches Gesicht wird zum Vorschein kommen“. So ist unsere Praxis.