Claude Durix · Wien September 1999

Keisaku. Man sagt auch Kyôsaku, und es wird auf dieselbe Weise geschrieben.

Der große Keisaku im Kloster Manpuku-ji von Ôbaku-san in Uji, in der Nähe von Kyôto, 1956.

1971, während einer Japan-Reise, erfuhr ich, dass mein Meister Sengoku Rôshi gestorben war, und dass er kurz vor seinem Tod darum gebeten hatte, mir beim nächsten Besuch den großen Keisaku zu übergeben, mit dem man mir so oft den Rücken während Zazen im Laufe der früheren Aufenthalte in seinem Kloster geschlagen hatte.

Es ist ein großer Keisaku, 1 Meter 27 lang, aus sehr hartem Kirschenholz, auf dem er mit eigener Hand Keisaku und Ôbakusan geschrieben hatte.

Von außen betrachtet ist er ziemlich beeindruckend, sogar ein bisschen furchterregend. Paradoxerweise erinnere ich mich weder daran, Befürchtungen gehabt zu haben, darum zu bitten, noch daran, allzu große Schmerzen gehabt zu haben, wenn ich geschlagen worden war. Er verstand es, sich mit meinem Geisteszustand und mit den Erfordernissen des Augenblicks in Einklang zu bringen. In meinem Kloster wurde er auch immer mit Sachverständnis, Weisheit und Mitgefühl verwendet. Und nicht von irgendjemandem: vom Meister selbst oder vom Gôdo, einem der ältesten Mönche, der für die Unterweisung der Novizen zuständig war. Das war in anderen Klöstern und in vielen europäischen „Zen-Zentren“, die ich später kennenlernte, nicht immer der Fall. Letztendlich hängt alles vom Meister ab: wenn er ein wahrer Meister ist, authentisch, menschlich, wohlwollend, sanft und demütigen Herzens, dann braucht man sich gar keine Sorgen um den Keisaku zu machen.

Üblicherweise bittet man um den Keisaku, indem man die Hände vor der Brust zusammenfügt, während man die Zazen-Haltung beibehält. Wenn der Träger des Keisaku dann kommt, vor Ihnen im Ôbaku oder im Rinzai, hinter Ihnen im Soto, je nach Tradition des Zendôs, des Tempels oder des Zen-Zweiges, verneigen Sie sich gemeinsam zum Gasshô, Sie neigen sich nach vorne, wenden den Kopf nach links und bekommen zwei oder mehrere Schläge mit der flachen Seite des Keisaku auf Schulter und Rücken rechts, dann wird das Ganze auf der linken Seite wiederholt. Man verneigt sich dann noch einmal gemeinsam, in tiefer Art und Weise, und fährt fort mit Zazen. Dieses Zeremoniell soll mit sehr viel Sorgfalt, Konzentration, Respekt und Dankbarkeit ausgeführt werden, sowohl von dem, der den Keisaku bekommt, als auch von dem, der ihn gibt.

Der Keisaku wurde schon viel kritisiert. Manche Zen-Meister hätten ihn sogar, so sagt man, aus ihren Dôjos verbannt. Ich habe in Büchern gelesen und manchmal gehört, dass es sich dabei um eine „Strafe“ handeln würde, um jene zu züchtigen, die die Riten oder die Zazen-Haltung nicht richtig einhalten, oder dessen Geist nicht gut ist. Nichts ist unrichtiger. Einige aus dem Westen sehen in ihm sogar „einen typischen Ausdruck des japanischen Sadismus“, nicht wissend, dass er ursprünglich aus China kommt. Es gibt nichts Dümmeres. Sicher, ein Stock, der ohne Einsicht verwendet wird, kann durchaus schädlich sein. Der Keisaku ist ganz das Gegenteil von einer Strafe oder einem Zwang oder einem Verweis oder einer Drohung. Für den, der danach verlangt, ist er manchmal eine Bitte um Hilfe, das Suchen nach einer notwendigen Anregung; für den, der schlägt, ist er ein Zeichen geschwisterlicher Fürsorge, eine sehr weit entwickelte Form des Mitgefühls; für beide ist er ein Austausch von Energie und letztendlich ein Austausch von Liebe.

Aus diesem Grund, und das muss wiederholt werden, darf der Keisaku nicht von irgend jemandem gegeben werden. Man muss zunächst einmal die anatomischen Punkte gut kennen, wo gute Reflexe ausgelöst werden und wo selbstverständlich kein Risiko der Verletzung an Knochen, Muskel, Gelenken oder Sehnen besteht. Man muss seine Atmung mit der des anderen in Einklang bringen können. Vor allem aber muss man den passenden Geisteszustand haben.

Also, in den Zen-Zweigen Ôbaku und Rinzai heißt er Keisaku, und wird von vorne gegeben, auf Schultern und Rückenmuskeln neben der Wirbelsäule. Die Soto-Richtung im Zen nennt ihn Kyôsaku, und schlägt ihn von hinten auf die Rückenmuskulatur, Trapezius und Deltoideus, die das Schulterblatt umgeben. Die Haltung von dem, der ihn bekommt, und die Technik von dem, der ihn gibt, sowie das Zeremoniell und die Anzahl der Schläge unterscheiden sich also geringfügig je nach Tempel, Kloster oder Persönlichkeit des Meisters.

Vom physiologischen Standpunkt her sind die vom Keisaku geschlagenen Areale wichtige Reflexzonen. Schnitt- und Schaltstellen und Nervengeflechte treffen dort zusammen und aufeinander und beeinflussen sich gegenseitig. Der Schlag durch den Stock regt diese bioenergetischen Schnittstellen an und setzt komplexe und wohltuende aufbauende Prozesse in Gang.

Keisaku oder Kyôsaku wird mit zwei Zeichen geschrieben:

das erste wird Kei oder Kyô gelesen, und bedeutet „warnen, ermutigen“ das zweite, Saku, bedeutet ganz einfach „der Stock“.

Das Wichtigste und das Wesentliche im Gebrauch des Keisaku, mehr als eine rituelle Geste und mehr als oberflächliche und unwichtige Unterschiede im Geist und in der Art ihn zu geben, ist der tiefe Austausch zwischen zwei unterschiedlichen und sich ergänzenden Energien, den er grundsätzlich beinhaltet. Diese gegenseitige Ergänzung und gleichzeitig diese Unterschiedlichkeit, das ist es, was man verstehen, spüren und in Einklang bringen muss.

Der Keisaku, weit davon entfernt eine Strafe oder eine Schikane zu sein, was widerwärtig wäre, ist eine wahre „Transfusion“ von Energie. Er ist vor allem eine der höchsten und subtilsten Ausdrucksformen des Mitgefühls des Meisters für seinen Schüler, und der Schüler muss ihn immer mit Demut und Dankbarkeit entgegennehmen.

So habe ich ihn von meinem Meister erhalten, als sein posthumes Geschenk, das ist jetzt 28 Jahre her, und in dem gleichen Geist übertrage ich ihn heute Karl Obermayer. Den Nyoibô, das wesentliche Symbol der I shin den Shin, von Herz zu Herz-Übertragung des Zen, habe ich ihm schon übergeben. Dieser große Keisaku ist auch ein Symbol der Einheit zwischen allen menschlichen, kosmischen und göttlichen Energien, die im Austausch stehen und einer sich ständig erneuernden Bewegung unterliegen, die immer alt und immer neu ist, in der Ewigkeit der Welt. „Aeternitas igitur est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio“, sagte Boethius im V. Jahrhundert : „Die Ewigkeit ist der vollkommene, gänzliche und gleichzeitige Besitz eines Lebens ohne Ende.“