Claude Durix · Wien 1998
Das japanische Wort Sesshin, das wir mit Einkehr übersetzen können und mit dem wir gewöhnlich diese mehr oder weniger langen Zeitabschnitte bezeichnen, in denen wir zu einer intensiveren Praxis des Zazen zusammenkommen, wird auf Japanisch mit zwei chinesischen Zeichen geschrieben, zwei Kanjis. Das erste bedeutet „vertraut sein mit…“und das zweite „die Seele, der Geist, das Herz…“. „Sesshin“, das ist „mit seiner Seele vertraut sein“. Es ist also ein gutes Mittel, um sich selbst zu erkennen. Und oft beginnen auch durch diese beharrliche Auseinandersetzung mit uns selbst die Schwierigkeiten. Wir müssen nämlich zuerst verstehen, daß es nicht darum geht, dieses überreizte, überschätzte Ego zu erkennen, das Ursprung von Konflikten, Kriegen, Völkermorden, Katastrophen ist, mit dem sich manche Menschen identifizieren, dem sie, zu seinem Unglück, ihre Umgebung und manchmal die ganze Welt unterwerfen wollen. Dogen, ein Zeitgenosse von Meister Eckhart, hat gesagt: „Zen praktizieren ist sich selbst erkennen. Sich selbst erkennen ist sich selbst vergessen. Sich selbst vergessen ist mit dem Universum eins sein.“ Das ist der Sinn des Sesshin.
In dieser Rückkehr zu den Ursprüngen unseres wahren Wesens ist also zunächst viel Arbeit zur Identifikation zu leisten. Wer sind wir ? Ewige Frage, auf die wir absolut antworten müssen, wenn wir auf dem Weg weiterkommen wollen. Dogen sagt, man muß sich zuerst selbst vergessen, was uns betrifft, müssen wir all unsere Vorurteile, Voreingenommenheiten, Illusionen begraben. In den künstlichen Urteilen, die wir über uns selbst fällen, die sich von Tag zu Tag ändern können, gibt es in jede Richtung Übertreibungen. Bald sind wir beim geringsten Scheitern unserer Vorhaben von einem wilden und ungerechten Tadel gegen uns selbst und unsere Nächsten ergriffen, bald flechten wir, beim geringsten Erfolg, Siegeskronen um unsere Stirn. Wir leben nur in Abhängigkeit von unseren persönlichen Erfolgen und Mißerfolgen.
Aber um zu leben kann man sich nicht damit begnügen, über Erfolge und Mißerfolge Buch zu führen, wie in einer Unternehmungsführung. Es geht nicht darum, ein Rechnungsbuch zu führen und am Ende des Jahres Bilanz zu ziehen. Es ist gleichzeitig viel komplizierter und viel einfacher. Es geht zunächst darum zu wissen, um wen es geht, was der Gegenstand dieses großen Abenteuers ist, in das wir vollkommen involviert sind. Bevor wir uns auf den Weg einlassen, müssen wir in einer ersten Zeit unsere wahre Natur entdecken. Sonst sind wir dazu verurteilt, eine Art Fantom, das wir für uns selbst halten, auf aussichtslose Wege zu führen!
Das ist die erste und schwierige Aufgabe, die wir mit Geduld, Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Ausdauer zu bewältigen haben. Haben wir keine Illusionen über uns selbst. Entledigen wir uns aller Schnörkel, aller Künstlichkeiten, die unser wahres Selbst verbergen. Und finden wir die reine Quelle unseres Geborenwerdens in diese Welt wieder, in der wir reichlich schöpfen können, um die nötige Kraft zu finden, die schwierige Reise zur Verwirklichung unserer Einheit fortzuführen.