Claude Durix · Wien 1998
Mokugyo wird mit zwei chinesischen Zeichen geschrieben, das erste bedeutet Holz und das zweite Fisch. Es schaut sozusagen wie ein großer Goldfisch aus. Es ist ein sehr bemerkenswertes Instrument, das man in allen Zen-Klöstern findet. Es wird zur Rhythmusangabe gebraucht, wenn man die Sutren rezitiert, die „Unterweisungstexte“. Den richtigen Rhythmus zu finden ist wichtig im Leben, aus diesem Grund ist das Mokugyo für alle eine wertvolle Hilfe.
Vor einigen Jahren, zu einer Zeit, wo es für einen Ausländer unmöglich war nach China einzureisen, wollte ich wissen ob Zen ( auf chinesisch Ch´an ), das in diesem Land im V. Jahrhundert entstanden war, die Revolutionen und die Kriege des XX. Jahrhundert überlebt hatte. Überall wo ich diese Frage gestellt hatte, in Japan, in Korea, hatte man mir nichts Genaueres sagen können und nur ganz vage Vermutungen geäußert : „Es scheint noch einige in den Bergen verborgene Klöster zu geben, aber wir haben keine Nachricht…“
Ganz durch Zufall hatte ich durch Freunde erfahren, die in Hong-Kong wohnten, daß es auf einer Insel, die der „Kolonie“ unterstand, ein großes chinesisches Ch´an-Kloster gab, das voll Leben war, das Kloster des Kostbaren Lotus auf der Insel Lan-Tao.
So landete ich eines Morgens im Mai, ich glaube es war 1974, im kleinen Fischerhafen von Lan-Tao, der größten und der am wenigsten bevölkerten Insel des Staatsgebietes von Hong-Kong, damals noch unter britischem Mandat.
Das Kloster vom Kostbaren Lotus war ziemlich weit vom Hafen entfernt. Man mußte einen alten Bus nehmen, der die Pilger über eine schlechte Straße mit nur einem Fahrstreifen zum Berg führte, sodaß der Fahrer jedesmal mit geschickten Manövern ausweichen mußte, wenn man einem anderen Fahrzeug begegnete. Letztendlich gelangte man auf einen freien Platz, der einem Marktplatz ähnlich war, wo einige Ziegenherden und einige klapprige Busse wie jener, der mich hierhergebracht hatte, standen. Dann mußte man noch ziemlich lange zu Fuß gehen, um endlich zum Tor des Klosters zu gelangen.
Der Abt empfing mich mit großer Herzlichkeit. Er redete Englisch. Er zeigte mir mein Zimmer, eine Mönchszelle mit einem Stahlbett, das von einem Moskitonetz umgeben war, und gab mir einige Räucherstäbchen, um, wie er sagte, die Gelsen zu verjagen, die in dichten Wolken um uns herumschwirrten.
Dann wurde ich in das Zendo eingeführt, wo die Abendmeditation gerade beginnen sollte. Es war ein großer viereckiger Raum mit ringsum erhöhten Plätzen, auf denen bereits etwa dreißig Mönche nebeneinander mit dem Gesicht zum Raum auf ihren Zafus saßen. Der Abt ließ mich unter ihnen Platz nehmen und hielt eine kleine Ansprache auf Chinesisch, um mich vorzustellen. Über jeden Mönch hing eine Art Baldachin, von dem sich, wenn man an einer Schnur zog, ein einzelnes Moskitonetz löste, das ihn vollständig umgab. Es war ziemlich seltsam, all diese weißen Moskitonetze zu sehen, darunter die etwas verschwommene schwarze Silhouette eines in der Zazen-Haltung sitzenden Mönches. Nach einer Stunde Meditation wurden die Moskitonetze wieder hinaufgezogen, eine halbe Stunde wurde ein ziemlich rasches Kin-Hin gegangen, dann wurde wieder die Sitzmeditation aufgenommen, die Moskitonetze für eine weitere Stunde gesenkt.
Der Rest des Tages verging in etwa wie in japanischen Klöstern: einfache und strikt vegetarische Kost, Oyu-Tee und warmes Wasser als Getränke; Arbeit in allen Räumen, Küchen, im großen Buddha-Tempel; Instandhaltung des Gemüsegartens und der Gartenanlagen, des Klosters; Zeremonien mit Rezitation der Sutren, frühes Schlafengehen, Aufstehen in der Dämmerung. Die Nacht war voll vom Gesang der Insekten und vom Surren der Gelsen, die vom Räucherwerk und den Moskitonetzen nicht gänzlich vertrieben werden konnten. Dogen war im XIII. Jahrhundert der Schmutz der chinesischen Mönche unangenehm aufgefallen. Ich muß sagen, daß ich bis auf die übelriechenden Abortanlagen (übrigens wie früher in den japanischen Klöstern) nicht feststellen konnte, daß die chinesischen Mönche von Lan-Tao sich übermäßig unhygienisch verhielten. Man muß auch sagen, daß sie schon lange unter britischem Mandat standen.
Etwas später, während ich in den Gärten des Klosters spazierenging, fragte ich den Abt, ob auf dem chinesischen Festland noch Ch´an-Klöster in Betrieb waren und ob er Kontakt zu ihnen hätte. Ich fragte ihn auch, ob es wahr sei, so wie man mir das gesagt hatte, daß viele Mönche schwimmend das Territorium von Hong-Kong erreichten und in diesem Kloster, wo wir uns gerade befanden, aufgenommen würden. Die Antwort kam sofort und war kategorisch: „Man darf darüber nicht sprechen!…“. Ich ließ mir das gesagt sein und stellte keine so direkten Fragen mehr. Später ließ er mich aber auf bloße Andeutung hin verstehen, daß es in China tatsächlich noch Ch´an-(Zen-)Klöster gab, die vom Regime verfolgt wurden, und daß geflüchtete chinesische Mönche am Zazen teilgenommen hatten, zu dem ich hier eingeladen worden war. Was ist jetzt aus ihnen geworden ?
Als ich nach einigen Tagen aufbrach, um nach Hong-Kong zu fahren und von dort nach Europa und Afrika, schenkte mir der Abt einen alten Mokugyo, der eben aus einem alten Kloster vom Festland stammte, und der durch einen ehemaligen Mönch auf die Insel Lan-Tao gebracht worden war. Das war alles, was man mir damals darüber sagte, nichts Genaueres.
Aber es ist nicht verboten zu denken, daß dieser Mokugyo dazu bestimmt war, eine Art Verbindungszeichen zu werden, zwischen dem chinesischen Ch´an der alten Zeit, dem japanischen Zen und dem europäischen Zen, so wie wir es hier praktizieren, in der Kontinuität unserer persönlichen Traditionen und im Respekt für jene, die uns in seiner Praxis auf der ganzen Welt vorangegangen sind.
Aus diesem Grund denke ich, daß dieser Mokugyo, der sicherlich eine lange Geschichte hat, zurecht seinen Platz hier finden wird, in diesem Zendo in Wien. Ich bin glücklich, ihn heute Karl Obermayer zu übertragen, so wie ich ihm vor einigen Jahren den Nyoibo übertragen habe. Ich wünsche Euch, daß er allen noch lange seinen wertvollen Rhythmus schenken wird, damit euer Leben schön, harmonisch, ausgeglichen und voller Spiritualität sei, in der Einheit von Körper und Geist und in der Einheit mit dem Universum.
Und wenn Ihr, dank seiner, alle vereint die „Unterweisungstexte“ rezitiert, die unsere Zazen-Einheiten jeweils beschließen, werdet Ihr auch an all jene denken, die in der Welt für ein Weiterleben des Geistes verfolgt wurden und noch werden.
Dankesworte von Karl Obermayer.
Lieber Claude, Wiederum haben Sie mir ein so großes Geschenk gemacht. Seit zwei Jahren darf ich Ihren Nyoibo tragen und so eine lange Tradition, die Sie von Ihrem Meister übertragen bekommen haben, fortsetzten. Ich glaube, heute sagen zu dürfen, daß damit eine neue Dimension in meiner Aufgabe, Zen weiterzugeben, entstanden ist, vielleicht auch ein neuer Impuls, sicher aber eine noch größere Verantwortung. In diesem Herbst werden es 25 Jahre, daß ich mit Erlaubnis von P. Lassalle ein erstes Einführungsseminar gehalten habe – ein ganz kleiner Anfang mit 12 Interessierten aus meiner damaligen Pfarrgemeinde. Daraus ist eine ganz schöne Gruppe geworden, wo viele schon lange Jahre konsequent dabei sind. Bestärkt durch die Übertragung des Nyoibo und laufende Erweise Ihres Wohlwollens, halte ich den Zeitpunkt für gekommen, daß ich einige, die mich schon jetzt da und dort vertreten haben, öffentlich bestätigen möchte, mich bei der Weitergabe des Zen zu unterstützen.
Dieser Mokugyo ist ein weiteres Zeichen Ihrer Verbundenheit mit unserer Zen-Gemeinde. Seine lange Geschichte und die Art, wie Sie ihn erhalten haben, macht ihn zu einer besonderen Gabe. Bevor ich Sie kennenlernte, hatten wir noch keine Rezitationen bei unserer Praxis. Sie haben hier zum erstenmal mit uns das Hannya Shingyo gesungen – damals noch ohne Mokugyo und uns gelobt, daß es gar nicht so schlecht war. Allmählich habe ich dann bei den Sesshin Ihre Art des Rezitierens eingeführt und nach anfänglichen Widerständen einzelner ist es heute den meisten eine liebgewordene Praxis. Dabei spielt der Rhythmus eine große Rolle und manche beherrschen es schon recht gut, den Mokugyo zu gebrauchen. – Mit diesem neuen „alten“ Mokugyo samt der Geschichte seiner Herkunft, wird es noch besser gehen. Vor allem aber wird er uns immer ein Zeichen unserer Verbundenheit mit Ihnen, lieber Claude sein. –
– Ein ganz herzliches Dankeschön – i shin den shin!