Claude Durix · Wien 1996

Die Schwierigkeiten unserer Zeit, die Gefahren, die uns drohen und die wirklich zustande kommen könnten, rühren zu einem großen Teil daher, daß die meisten unserer Zeitgenossen daran sind, eine wesentliche Tugend zu verlieren, nämlich die Bewunderung. Sie sind gleichgültig, regungslos, erstarrt, sie haben nichts mehr zu entdecken, weder in ihnen noch in dem Leben , das sie umgibt. Das ist ein schreckliches Unglück, das ist ein trauriger Zustand. Die Welt ist voller verwöhnter Kinder, die all das Spielzeug, das man ihnen in großzügiger Weise schenkt, ohne es auch nur anzuschauen, wütend zerstören.Ohne Bewunderung ist keine Liebe möglich. Ohne Bewunderung ist kein spirituelles Leben möglich. Ohne Bewunderung ist kein Leben möglich. Die Bewunderung ist der unentbehrliche Sauerstoff für das Atmen der Seele.

Die staunenden Augen ganz kleiner Kinder, die die Welt entdecken, sind das Modell, das wir in den vergessenen Archiven unserer geistigen Infrastruktur wiederentdecken müssen. Alle Texte sagen uns das, im Zen wie in den Evangelien. Wenn wir nicht akzeptieren, wieder wie Kinder zu werden, sind wir unwiderruflich zum Tode verurteilt: dem Tod von Körper und Geist in ihrer Getrenntheit und dem Tod des Universums, das wir zu zerstören schon imstande sind.

Aber wenn wir es verstehen, einen Augenblick am Rande des Weges stehenzubleiben, gerade die Zeit, um eine Landschaft zu bewundern, die sich uns darbietet, einen Sonnenuntergang, das Lächeln eines Kindes, der Blick einer geliebten Frau, dann kann sich alles noch ändern, dann kann alles noch zu neuen Hoffnungen aufbrechen, zu neuen Verwirklichungen, zu einer tiefen Umwandlung unserer Seelen, zu einem neugestalteten Aufblühen des Universums.

Um diese Fähigkeit zur Bewunderung wiederzufinden müssen wir zuerst die Demut des Herzens wiederfinden. Wir müssen die Schönheit und den tiefen Wert der einfachen Dinge wiedererlernen. Durch die Praxis müssen wir, trotz der Schwierigkeiten, die durch das Alter dazukommen, die Möglichkeiten unseres Körpers und die Kräfte unserer Atmung wiederentdecken. Ohne irgendeine Suche nach Profit müssen wir uns allmählich den Geisteszustand aneignen , der für unser Überleben unentbehrlich ist. Im Augenblick, in dem wir uns das am wenigsten erwarten, wird sich dann vor unseren staunenden Augen eine neue Welt eröffnen, ein endloses Land, das wir mit dem unermeßlichen Blick unserer wiedergefundenen Kinderaugen immer wieder bewundern, bewahren und preisen werden. Manchmal sagt man zu diesem Ereignis Erleuchtung.

Es ist ganz einfach die Rückkehr zu einer natürlichen Sicht unseres Platzes im Universum. Es ist ein endgültiges Bewußtwerden der endlosen Bewunderung, die wir ihm schulden. In dieser neuen Sicht einer bewundernswerten Welt werden wir die Energie finden, die sie vor den Gefahren, die man ihr vorhersagt, bewahren wird.